In den 1950er Jahren wurden eher beiläufig bei Ausgrabungen in Ungarn (im Komitat Somogy südlich des Plattensees) Stücke einer Bleiplatte gefunden, deren Einkerbungen zunächst als runisch klassifiziert wurden. Nachdem 1978 endlich eine Veröffentlichung der Funde erfolgt war, erkannte man die gotische Abkunft der Inschriften alsbald (aber noch nicht 1981, vgl. EBBINGHAUSens GOTISCHE GRAMMATIK [19. Auflage], wo sie noch nicht erwähnt sind). Erst in jüngerer Zeit ist es gelungen, sie Bibelpassi zuzuordnen (HARMATTA 1997, s.u.).
In (HOOPS´) RGA (1998) Bd. 12
sub
voce Gotische Literatur: § 1: Gotische Bibel
('Philologisches',
pp. 448-450)
schreibt Piergiuseppe SCARDIGLI zum Verbleib
des Fundes:
Seit mindestens 1992 sind die Reste dieser Platte spurlos verschwunden.
Ich habe ihn selbst gefragt, wo sich die Spur
verloren hat. Dazu Scardigli:
Un alone di mistero circonda (wie wir hier
unten sagen) die Bruch[stück]e.
Ein (gleichfalls im RGA vertretener)
namhafter
Indogermanist schrieb mir auf dieselbe Frage:
Es würde mich nicht wundern, wenn dieser
verschwundene Textfund von Harmatta verlegt oder irgendwie
"verschusselt"
worden wäre.
Auch jüngere Versuche, in Buda/Pest fündig zu werden, sind leider gescheitert.
Solcherlei Mißstände finden sich in der Gotistik leider
häufiger.
Man denke nur an die angebliche Zerstörung des Codex
Gissensis durch Hochwasser:
Bei meinen Nachforschungen stellte sich heraus,
daß
die Gießener Uni-Bibliothek immerhin über eine Ablichtung
verfügt
(im Ggs. zu den Ausführungen Ebbinghaus´
1981:5
auch über das Negativ dazu),
während sich bei der Dresdner Bank (in deren Safe
sich die Handschrift zuletzt befand) heute niemand mehr zuständig
fühlt.
Der Gräzist Peter KUHLMANN und
ich
sind nun allerdings zu der Überzeugung gekommen,
daß das Fragment sehr wohl noch existiert und
über
amerikanische GIs in den Schwarzmarkt gelangt sein muß.
Jedenfalls sind auch von der Hácser Bleiplatte zumindest noch
Photographien erhalten.
Das folgende Photo zeigt eines von etwa 2 Dutzend Fragmenten einer
Grabbeigabe; es entstammt:
Alfonz LENGYEL & George T. B. RADAN (Eds.): The Archaeology
of Roman Pannonia;
Budapest (Akadémiai Kiadó) & Lexington (Kentucky
U P) 1980.
Dort ist noch von 'runisch' die Rede:
Plate 157.a showing the lead tablet, being briefly allused to on
p. 404: The earliest relics of the runic inscription (Plate CLVII.1)
used
by the Goths came to light in Pannonia.
[FN 25: Á.SALAMON,"Grave
5 from the cemetery at Hács Béndekpuszta" and D.
SZÉKELY,
"A Lead Tablet with Inscriptions from Hács Béndekpuszta"
(Manuscript).]
Vollständige Bibliographie
(was die sprachliche Examination anbelangt; bis A.D. 2000)
1977 Salamon, Ágnes: Grave 5 from
the Cemetery at Hács Béndekpuszta.
Mitteilungen.
Archäologisches
Institut
der ungarischen Akademie der Wissenschaften 7: 34-40.
1977 Székely, Dániel: A
Lead
Tablet with Inscriptions from Hács Béndekpuszta.
Mitteilungen.
Archäologisches
Institut
der ungarischen Akademie der Wissenschaften 7: 41-43.
1989 Ebbinghaus,
Ernst A.: The Gothic material from the
cemetery
at Hács Béndekpuszta.
General Linguistics
29: 79-83.
1995 Kiss, Attila: Das germanische
Gräberfeld
von Hács-Béndekpuszta (Westungarn) aus dem 5.-6.
Jahrhundert.
Acta
Antiqua [Academiae
Scientiarum]
Hungarica[e]
36: 275-342.
1996 Harmatta, János: Wulfila
gót
újtestamentum-fordításának
töredékei
Hács
Béndekpusztáról.
Antik Tanulmányok.
Studia Antiqua
40: 169-191.
englische Version:
1996 Harmatta,
János: Fragments
of Wulfila's Gothic translation of the New Testament from Hács
Béndekpuszta.
Acta
Antiqua [Academiae
Scientiarum]
Hungarica[e]
37: 1-24.
2000 Scardigli, Piergiuseppe: Das
Bleitäfelchen
von Hács Béndekpuszta.
in: Wilhelm Streitberg: Die gotische Bibel, Band I,
7. Auflage,
Heidelberg
(Winter) 2000.
2. Nachtrag: Neuentdeckte
gotische Sprachreste = pp. 500-522, hier
507-514.
Schon bei der kursorischen Lektüre dieser
Werke offenbart sich eine rasante wissenschaftliche Progression.
Es ergibt sich das Bild eines 1 mm dicken
beritzten
bleiernen Quadrats, das - in mutmaßlicher
Originalgröße
-
folgendermaßen ausgesehen haben mag:
(aus Streitberg/Scardigli: Tafel
6)
Das auf halber Höhe
dieser
Webseite dargestellte Photo ist mithin ein Detail aus der 3. Zeile von
unten
Der besagte Ort ist nur auf wenigen Karten verzeichnet und auch nur schwer zu erreichen.
Er liegt im Bezirk Fünfkirchen (heute im Komitat Somogy) zwischen
den Ortschaften Polnisch-Tothy (Lengyeltoti) und Pußta-Babod
(heute Somogybabod)
am Flüßchen Halsok (sofern gerade wasserführend).
Administrativ gehört Béndekpuszta zwar zum Dorfe
Hács, ist aber von dort heute kaum noch erreichbar.
Am besten komme man von der Ortschaft Babod (Abzweig Tardpuszta) und mache sich zu Fuß
oder Pferd auf den Weg, da alle anderen Verkehrsmittel hier versagen.
Lange Hosen, festes Schuhwerk und Mückenschutz sind unabdingbar.
© Christian
T. Petersen A.D.2010
zugeeignet
dem Amerikaner Alfonz Lengyel, der die Ausgrabungen leitete
und
sich in seiner ungarischen Heimat lange Zeit in kommunistischer
Haft
befand.